WORKSHOP: "Wie du im Job gesunde Grenzen setzt und kommunizierst"

Job 8 – Winzerin

Jannike Stoehr

Es ist Herbst und damit Erntezeit in den Weinregionen Deutschlands. Über den Kontakt einer ehemaligen Mitschülerin gelange ich zu einem Winzer in Trittenheim an der Mosel.
Wenn es in Gesprächen um Traumberufe geht, wird mir ganz oft der Winzerberuf genannt. An dieser Stelle möchte ich euch also einmal bitten, euch den Berufsalltag eines Winzers vorzustellen. Nehmt euch ruhig Zeit.
Meine Vorstellungen sehen in etwa so aus: Als Winzerin lebe ich in einer schönen Weinregion und habe meine eigenen malerischen Weinberge. Im Herbst ernte ich mit einigen Erntehelfern die reifen Trauben. In meinem gepflasterten Weinkeller mit Rundbögen, Weinregalen und –fässern gärt der Wein, bis er perfekt ist. Im Kerzenschein veranstalte ich mit meinen Gästen Weinproben, das ein oder andere Schlückchen ist für die Gastgeberin natürlich auch mit drin.
Soweit zu meinen Vorstellungen. Die Realität begegnet mir an meinem ersten Tag im Weinkeller. Der Weinkeller ist eine große Halle mit riesigen Weintanks, lauter Maschinen, Paletten, Pumpen und Schläuchen. Es ist laut und es stinkt. Winzer Franz-Josef Bollig öffnet als erstes die große Schiebetür, um durchzulüften. Und zwar nicht wegen des Geruchs, sondern weil zu viel von diesen Gasen zur Bewusstlosigkeit führen kann. Vor einigen Jahren war im Ort mal eine ganze Familie der Reihe nach in Ohnmacht gefallen beim Versuch, den jeweils Vorangegangenen aus dem Weinkeller zu retten. Die Feuerwehr musste mit Atemschutz kommen und die Familienmitglieder aus dem Keller befreien. Ich kann die Spannung vorweg nehmen: in dieser Woche geht alles gut!
Franz-Josef zeigt mir, wie man den Zuckergehalt der Weine misst, Oechsle-Grad genannt. Dem Traubensaft wird mit Hilfe von Bakterien zur Gärung verholfen. Dabei verwandelt sich der Fruchtzucker in Alkohol. Je früher man also die Gärung unterbricht, desto lieblicher ist der Wein – hat aber auch weniger Alkoholanteil. Wieder was gelernt!
An diesem Tag füllen wir gefühlt zigtausende Liter von einem Behälter in den anderen und umgekehrt, setzen Schwefel bei, filtern und keltern und füllen Traubensaft in Flaschen ab. Ich führe aus, was mir gesagt wird, aber so richtig verstehe ich nicht, was ich tue. Eine weitere Aufgabe ist das Traubenstampfen. Es wird euch gegebenenfalls enttäuschen, aber dazu bekomme ich einen Stampfer und muss nicht barfuß in den Bottich steigen. Der Trauben-Bottich steht neben dem Schwefel-Tank, aus dem gerade neu abgefüllt wurde. Die Gärgase und der Schwefel steigen mir in die Nase und gelangen je länger ich stampfe immer weiter den Hals hinunter. Das brennt! Der 50 % Schnaps auf dem Bauernhof war nichts dagegen! Ich muss an die frische Luft. Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Dem nächsten Stampfen ein paar Tage später stehe ich skeptisch gegenüber. Das wird bestimmt in einem Hustenanfall und akuter Atemnot ausarten. Aber Überraschung, ohne den Schwefel ist die Aufgabe nicht einmal halb so schlimm. Übrigens: Nachdem der Wein in seiner Anfangszeit behandelt wurde, darf er ungestört ein halbes Jahr reifen. Das passt auch gut, denn vor Weihnachten liegt die Hauptarbeit des Winzers im Verkauf.
Mit sechs polnischen Erntehelfern – zwei sprechen deutsch – stehe ich tags darauf auf einem der vielen Weinberge des Weingutes. Meine Sozialversicherungsnummer habe ich dabei, es gäbe wohl öfter Kontrollen wurde mir im Vorfeld des Praktikums mitgeteilt. Franz-Josef war zuvor durch die Weinberge gefahren und hatte geschaut, welche Trauben als nächstes geerntet werden sollten. Ich bekomme eine Gartenschere und starte ohne Handschuhe. Ich bin ja nicht zimperlich. „Kann ich vielleicht doch Handschuhe bekommen?“ frage ich meine polnischen Kollegen als ich feststelle, dass es zwar keine sonderliche Verletzungsgefahr gibt, dafür der Traubensaft aber saumäßig klebt. Warum einige die Weinernte als Urlaub empfinden, kann ich am Ende des Tages gut nachvollziehen. Die Ernte hat beinahe etwas Meditatives. Am Abend bin ich erschöpft und zufrieden.
Die Woche vergeht wie im Flug, aber so richtig schaffe ich es nicht einen Zugang zum Beruf zu finden. Der Berufszweig ist mir sehr fremd und außerdem stark saisonabhängig. Die Winzertätigkeit im Herbst ist nicht mit der im Winter, Frühling oder Sommer vergleichbar. Erstaunt bin ich über die viele Arbeit im Weinkeller mit den vielen unterschiedlichen Maschinen. Über die Stoffe, die beigemischt werden müssen, die ganze Technik, die dahinter steht. Gefühlt sehe ich Franz-Josef und seinen Sohn Lukas, der in den Familienbetrieb eingestiegen ist, am häufigsten auf dem Gabelstapler, an den verschiedensten Maschinen oder mit dem Wasserschlauch in der Hand, um etwas sauber zu machen.
Diese Woche war sehr lehrreich, auch wenn sie ohne Aussicht auf meinen Traumjob geblieben ist. Ich habe beispielsweise gelernt, dass bei der Weinernte Freilicht-WCs benutzt werden – auf dem Nachbarweinberg versteht sich. Dass man besser nicht nur flüchtig schaut, ob Brennnesseln im Umkreis stehen. Dass eine rote Blume auch unter polnischen Erntehelfern Romantik entfachen kann. Und dass die Gastfreundschaft der Moselaner unglaublich groß ist.
Wer Interesse an einem eigenen Weinberg hat, braucht dazu übrigens nicht unbedingt Winzer zu werden und einen Stapler-Führerschein zu machen. Es gibt mittlerweile Weinstock-Patenschaften, bei denen man bei der Ernte mithelfen kann und seinen eigenen Wein mit nach Hause nehmen kann!
Vielen Dank an Birgit, Franz-Josef, Lukas, die drei Mädels und Laura!
Mit meinem Projekt und dem nächsten Job geht es im November weiter – ich freu mich auf Rottweil!

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