WORKSHOP: "Wie du im Job gesunde Grenzen setzt und kommunizierst"

Frei sein bedeutet, sich entscheiden zu müssen

Jannike Stoehr

Frei sein

Ein Fazit, vier Jahre später

Vor vier Jahren bin ich ausgestiegen. Ich würde gern sagen können, dass ich damals einfach so frei war. Den Mut für den Ausstieg fasste ich allerdings erst, als eine persönliche Krise mein Leben erschütterte und meinen bisherigen Lebensentwurf in Frage stellte. 
Schon lange war ich mit meinem Leben unzufrieden gewesen. Konsum, Schritte auf der Karriereleiter und ferne Urlaubsziele brachten nicht die erhoffte, nachhaltige Zufriedenheit mit sich. Ob es die überhaupt gab? Ich steckte fest, grübelte, testete, aber fand keine Lösung für meine Unzufriedenheit. Je mehr ich probierte sie loszuwerden, desto unglücklicher wurde ich. „Was willst du denn noch alles?“, vernahm ich aus meinem Bekanntenkreis. Und: „Du kannst doch wirklich schon zufrieden sein.“ An Ideen, wie ich mein Leben, insbesondere mein Berufsleben, anders gestalten könnte, mangelte es mir nicht. An Gründen, die dagegen sprachen allerdings auch nicht.

Eine Krise hilft, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren

Dann, mit der Krebsdiagnose meines Vaters, fasste ich den Entschluss auszusteigen. Ich entschied mich für die radikale Variante, verließ ein Dreiviertel Jahr später mein Arbeitsverhältnis, kündigte meine Wohnung, meinen Fitnessstudiovertrag, verschenkte meine Bücher und verkaufte meinen Besitz. Ein paar Umzugskartons stellte ich bei meiner Mutter auf dem Dachboden unter. Der Rest meines Lebens passte nun in meinen Koffer.
Wenig Besitz hat etwas befreiendes. Da stand ich nun und hatte Optionen im Überfluss und weniger Gründe, die gegen sie sprachen. Was ich tun sollte, wusste ich nicht. Jahrelang hatte ich mich über meinen Job identifiziert, hatte mich die Karriereleiter hinauf steigen sehen und mich nach Erfolg gesehnt. Jetzt wollte ich von vorne anfangen. Wollte in einen Job umsteigen, der meine Berufung sein sollte. Wollte Lehrerin werden oder Architektin oder Journalistin. Einen Beruf haben, der wirklich zu mir passt. Nur welcher sollte das sein?
In einem Ratgeber las ich von der Belgierin Laura van Bouchout, die verschiedene Berufe getestet hat, bevor sie sich für eine berufliche Heimat entschied. Das wollte ich auch. Es erschien mir nur logisch, die Berufe erst auszuprobieren, bevor ich mich für einen von ihn entschied, die Realität im Job kennenzulernen und mich in ihn hinein zu fühlen. Nach kurzer Vorbereitungszeit startete ich in das Jahr meines Lebens: 30 Jobs wollte ich innerhalb von einem Jahr ausprobieren. In den darauffolgenden Wochen arbeitete ich als Erzieherin, Stadtführerin, Verkäuferin, Headhunterin, Biobäuerin und Winzerin und entdeckte immer mehr Seiten an mir wieder oder sogar gänzlich neu kennen.
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Wenn der Körper mehr weiß, als der Geist

Nach den ersten fünf Jobs begab ich mich, ohne es zu merken, um ein Haar wieder ins Hamsterrad. Ich hatte ein Job-Angebot bekommen, das mir Prestige und Anerkennung versprach.  Ich sagte zu. Mein Körper protestierte und sendete mir eindeutige Signale. Nachts wurde ich von Schwindelattacken aus den Tiefschlafphasen gerissen. Die ständigen Kopfschmerzen nahm ich schon gar nicht mehr als etwas Besonderes wahr. In der Hoffnung auf heilende Medikamente ging ich zum Arzt. Ich wollte die Symptome bekämpfen, ohne mich für die Ursachen zu interessieren. Nach einem großen Checkup bescheinigte mir der Arzt meine vollste Gesundheit und riet mir zu einer Pause. Ich war ausgestiegen, um mich neu zu orientieren und sollte jetzt von der Pause eine Pause machen?
Als ich meine E-Mails checkte, fand ich die Aufforderung einer Fluggesellschaft in meiner Inbox. Ich sollte einchecken für meine Reise nach Irland. Den Flug hatte ich Monate zuvor günstig gebucht und trotz neuer Pläne nicht storniert, da ich ohnehin kein Geld zurückbekommen hätte. Nach einigem Hin und Her rief ich bei meinem zukünftigen Arbeitgeber an und sagte den Job ab. Die Wohngemeinschaft, in die ich mich für den Job eingemietet hatte, sagte ich ebenfalls wieder ab. Stattdessen checkte ich ein und flog wenige Tage später nach Irland, wo ich ohne Internet und sonstigen Ablenkungen knappe vier Wochen allein mit einem Wohnmobil an der Küste entlang fuhr.
Stille macht frei, lernte ich in Irland. Ohne Dauerbeschäftigung und Dauerbeschallung wurde mir auf das Schmerzlichste bewusst, dass ich den Erwartungen anderer unterlegen war und die Ziele, die ich bis dahin verfolgt hatte, nicht meine eigenen gewesen waren. Das Schwierigste daran für mich: Hatte ich überhaupt eigene Ziele? Was wollte ich selbst und wer war ich überhaupt? Dennoch fühlte ich mich auf dem richtigen Weg. Mein Körper hatte mir Signale gegeben, nicht wieder einen Weg einzuschlagen, der nicht mein eigener gewesen wäre. Irgendetwas in mir musste also wissen, was gut für mich war und was nicht. Später lernte ich den passenden Begriff dazu kennen: Intuition. Wieder zurück in Deutschland setzte ich meine Reise durch die Arbeitswelt fort und schulte meine Intuition, meine verloren gegangene Fähigkeit.

Sich selbst entdecken

Ich arbeitete als Karriereberaterin, als Architektin, als Pathologin, Journalistin, Tierpräparatorin, als Freizeitparkbetreiberin, Politikerin und Hebamme. Immer wieder neue Identitäten anzunehmen und in die Schuhe anderer Menschen zu schlüpfen, machte mich freier. Immer weiter löste ich mich von dem Bild, das ich in meinem alten Leben von mir hatte. Ich beobachtete mich in den verschiedenen Jobs: Ging es mir leicht von der Hand? Machte es mir Spaß? War das, was ich tat, für mein Empfinden sinnvoll? Ich lernte immer mehr über mich selbst und stellte fest, dass ich noch viel mehr war, als ich mir einige Jahre zuvor vorstellen konnte. Ich entdeckte meine Leidenschaft für das Schreiben und das Lernen und bekam positives Feedback. Je mehr ich ausprobierte und Feedback bekam, desto ein besseres Gefühl bekam ich von dem, was ich tun wollte.
Eine Frage hielt sich hartnäckig: Was war mir wirklich wichtig? Und wozu machte ich das alles eigentlich? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass es mich Kraft kostete, mich jeden Tag aufs Neue ständig zu entscheiden und meinen Weg, der nun nicht mehr von Äußerlichkeiten gelenkt wurde, weiter zu verfolgen. Frei sein heißt eben auch, sich selbst entscheiden zu müssen. Und das kann anstrengend sein. Ein gewisser Rahmen kann deswegen auch erleichternd sein. Viele Rahmen, die der Mensch noch vor einigen Jahrzehnten beispielsweise durch die Kirche oder die Gesellschaft hatte, bestehen heute nicht mehr. Und auch mein Rahmen, meine Karriere, mein altes Leben, der Konsum, erleichterten mir die Entscheidungsfindung nicht mehr. In dem Buch „Rückkehr zur Menschlichkeit“ vom Dalai Lama und Lars Riedel ist die Rede von ethischen Grundregeln oder Richtlinien, die man zur Entscheidungsfindung hinzuziehen kann. Sie empfehlen, ein verinnerlichtes Wertesystem zu entwickeln, das uns als Richtschnur dienen kann. Ein Wertesystem, das uns im freien Raum zurecht finden lässt, uns navigieren lässt. Nur wie entwickelt man das?

Was ist wirklich wichtig?

In einem Seminar kam ich der Antwort einen Schritt näher. „Was ist dir wirklich wichtig?“, wurde ich in einer Übung von einer Teilnehmerin immer und immer wieder gefragt. Ich sollte mich auf das Wesentliche zurückbesinnen. Das war schwierig, aber es kam mir bekannt vor. Ganz am Anfang meiner Reise, damals in meiner Krise, stellte ich mir eine ähnliche Frage. Aber ich hatte keine Antwort, außer, dass es nicht das war, was mein Leben zu diesem Zeitpunkt füllte.
Heute bin ich frei. Ich habe immer noch wenig Besitz, ich reise viel, lerne, schreibe und spreche mit Menschen über das Leben und die Arbeit. Wenn ich mich einmal nicht gut fühle, dann nehme ich mir einen Moment Zeit, trete einen Schritt zurück und betrachte, wie ich an diesen Punkt gekommen bin. Und dann frage mich wieder einmal: Was ist dir wirklich wichtig?
Original erschienen im MaaS Magazin – Impulse für ein erfülltes Leben– ab heute online erhältlich oder in Bahnhofsbuchhandlungen.
Und, was ist dir wirklich wichtig? Ich freu mich auf eure Rückmeldungen in den Kommentaren!

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