WORKSHOP: "Wie du im Job gesunde Grenzen setzt und kommunizierst"

Fairstainability Manager – Job 6

Jannike Stoehr

Mama, was ist ein Kondom?

„Mama, was ist eigentlich ein Kondom?“, fragte ich meine Mutter vor 23 Jahren beim Mittagessen. Ich erinnere mich gut daran. Markus, ein Mitschüler von mir, hatte in der Schule erzählt, dass er auf dem Deich ein benutztes Kondom gefunden hätte. Und alle haben gelacht. Außer mir. „Das erzähle ich dir später“, antwortete meine Mutter nach einer betretenen Schweigeminute. Die Neugier verging mir bei ihrer Reaktion schlagartig. Um die Erklärung kam ich jetzt aber nicht mehr herum. Wie widerlich, dachte ich, während ich mich um einen abgeklärten Gesichtsausdruck bemühte. 

Es ist wieder soweit

Neulich, als ich meiner Mutter am Telefon von meinem nächsten Job erzählte, musste ich erneut auf das Thema zu sprechen kommen. Kondome! OMG! Nein – ich werde keinen Ausflug ins Milieu machen. Nicht so richtig zumindest. Es geht zu einhorn products, Mama. Die machen Kondome und bald wahrscheinlich auch was für die Periode. Warum ich da hin will? Die machen da auch was mit Nachhaltigkeit. Ja, genau, wie diese Corporate Social Responsibility Menschen, nur ernsthafter, denke ich. Warum das ein Zukunftsjob sein soll? Na, ist doch logisch. Wir haben eine Erde mit begrenzten Ressourcen. Wir können nicht so weiter wirtschaften, wie bisher. Es muss sich etwas ändern. Und daran werden Menschen in Unternehmen arbeiten müssen. Ja, ich werde dann mal erzählen. 
In meiner Woche als Fairstainability Managerin begleite ich Elisa Naranjo, Head of Fairstainability bei einhorn. Ich hatte sie über den Award von edition f gefunden, bei dem sie als eine von fünfundzwanzig Frauen ausgezeichnet wurde, die unsere Wirtschaft verändern. Und das tut sie, wie ich in meiner Woche bei einhorn herausfinde. 

Aber lasst uns von vorne starten. Vorne heißt in diesem Fall bei meinem ersten Arbeitstag. Wenig überraschend ist das ein Montag, der aber nicht um 8, nicht um 9, nein, nicht um 10 – sondern um 14.00 Uhr beginnt! Yes, das sind Arbeitszeiten, wie ich sie liebe. Als ich im Kreuzberger Büro aufschlage, haben die Einhörner allerdings schon einen halben Tag hinter sich. Es gab eine Teambesprechung, die bei einem Mitarbeiter zuhause stattfand und für meinen Job als Fairstainability Managerin nicht relevant war. Mir soll es Recht sein. Wir starten mit einem Kaffee. Auch gut. „Diese Woche stehen das Kickoff-Meeting einer Recycling-Initiative auf dem Programm, unsere wöchentliche Perioden- und Kondom-Meetings und dann wollen wir noch einen Porno von Erika Lust mit Nachhaltigkeitsgerede vertonen“, erzählt mir Elisa. Eine ganz normale Woche also.

Nur weil Nachhaltigkeit drauf steht, muss noch keine Nachhaltigkeit drin sein

Meine anfänglich gute Laune rutscht schnell in den Keller, als mir Elisa mehr von ihrem Job erzählt. Den ersten Schock zum Thema Nachhaltigkeit hatte ich bereits während meines ersten Projektes, als ich eine Woche bei der Austrian Development Agency arbeitete. Damals begriff ich, was ich insgeheim schon immer wusste: Für meinen günstigen Konsum zahlen Mensch und Umwelt in anderen Teilen der Welt den Preis. Seitdem habe ich vieles in meinem Leben verändert. Ich kaufe sehr wenig Kleidung, esse sehr wenig Fleisch und fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, wo immer ich kann. Von einem nachhaltigen Lebensstil bin ich dennoch weit entfernt. Das wird mir in meinen Tagen bei einhorn deutlich. 
„Nur, weil auf einem Produkt ein Nachhaltigkeitssiegel klebt, heißt es noch nicht, dass es wirklich nachhaltig und fair produziert wurde“, erzählt Elisa, als sie mir erklärt, was einhorn beim Thema Nachhaltigkeit anders macht als andere. „Bei so einem Siegel kannst du zwar davon ausgehen, dass es besser und nachhaltiger als ein Produkt ohne Siegel ist, aber wie die Umstände am Produktionsort sind, ist damit noch nicht geklärt“, ergänzt sie. Viele Firmen überprüfen anhand von Kriterienkatalogen für die jeweiligen Nachhaltigkeitssiegel, wie die Produktionsbedingungen sind. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass alles rund läuft, geschweige denn, dass eine Wirtschaftsbeziehung auf Augenhöhe besteht.
In China, erzählt mir Elisa, gestatte der Staat nicht, dass Arbeiter ihre Sozialversicherung über die Kantonsgrenzen hinaus mitnehmen. Für all die Wanderarbeiter in China bedeute eine von einem Nachhaltigkeitssiegel zertifizierte Produktion deswegen eine Einbuße im Einkommen. Denn das Geld, das nun von ihrem Einkommen in die Sozialversicherung fließe, bekämen sie nie zu Gesicht. Um fair und nachhaltig zu produzieren, müssen die Gegebenheiten vor Ort also wirklich bekannt sein. Es muss Gespräche geben, Vertrauen gefasst werden und ein gemeinsames Verständnis von Fairstainability vorhanden sein.

I bims, die Ökobilanz

„Aber wo fange ich an, wenn ich mit meinem Unternehmen nachhaltig werden will?“, will ich wissen. „Wir haben mit einer Ökobilanz angefangen“, sagt Elisa. „Wir haben nicht den Anspruch, perfekt zu sein und machen unsere Bemühungen transparent. Wir setzen dort an, wo wir den größten Einfluss in der Lieferkette haben.“ Die Ökobilanz hat Kollege Maik erstellt. Er ist studierter Umweltingenieur. Eine Ökobilanz bildet alle Umweltwirkungen eines Produktes von der Entstehung bis zur Verwertung ab. Bei einem Kondom geht es los mit der Kautschukproduktion. Ist das Kautschuk geerntet, muss es verarbeitet werden. Anschließend kommt es in die Fabrik, wo dann aus dem Gummi Kondome werden. Von dort kommt es zu einhorn und von dort in die Läden oder direkt zum Kunden. Beim Kunden wird es benutzt und anschließend entsorgt. Jeder einzelne Schritt hat kleinere oder größere Auswirkungen auf die Umwelt. Noch nicht berücksichtigt ist in dieser Analyse der soziale Impact. 

Vor Ort in Malaysia

„Den größten negativen Umwelteinfluss haben wir in der Produktion der Kondome“, erklärt mir Maik, als ich genaueres von ihm wissen will. Umgerechnet entstehen im Leben eines Kondoms 34g CO2-Äquivalente, in etwa so viel, als würde ich 250 Meter mit einem Benziner fahren. Um wirklich herauszufinden, wie die Umwelt- und Arbeitsbedingungen im Produktionsland Malaysia  sind, waren die Mitarbeiter von einhorn einige Monate vor Ort.
„Wir mussten das Vertrauen von den Menschen vor Ort gewinnen“, erzählt Linda, die dritte feste Mitarbeiterin im Nachhaltigkeitsteam. Sie spricht Indonesisch und hat während ihrer Zeit in Malaysia die sehr ähnliche Landessprache gelernt. „Nachhaltig zu produzieren, bedeutet für die Menschen vor Ort zusätzliche Arbeit“, setzt sie fort. „Wir als kleines Startup können noch nicht diese riesigen Mengen an Kautschuk abnehmen, sodass sich der Aufwand aus rein wirtschaftlichen Gründen lohnen würde. Wir mussten Partner finden, die ein ähnliches Verständnis von Nachhaltigkeit haben und mit ihnen immer wieder die Herausforderungen vor Ort anschauen und Lösungen suchen.“
Linda erzählt von einem ihrer Besuche, als ihr der Plantagenbetreiber erzählte, er hätte wieder die Plantage gespritzt, um das Unkraut zu vernichten. Sie fragte nach dem Warum und erfuhr, dass die Tapper, also die Arbeiterinnen und Arbeiter auf der Plantage, Angst vor Schlangen hätten, die sich im Pflanzendickicht verbergen würden. Bei dem gleichen Besuch tauchte plötzlich ein vierzehnjähriger Junge auf der Plantage auf, den sein Vater zum Arbeiten mitgebracht hatte. Kinderarbeit! Auch hier fragte Linda nach dem Warum. Die Tapper erzählten, dass der Junge Schulabbrecher sei und sein Vater ihn lieber mit zur Arbeit bringe, anstatt ihn Zuhause auf der Couch rumlungern zu lassen. Für beide Problemstellungen suchte Linda gemeinsam mit den Menschen vor Ort eine Lösung. Der Unkrautvernichter wurde gegen einen Rasenmäher getauscht und für den Vierzehnjährigen organisierte Linda einen Ausbildungsplatz für Schulabbrecher. 
„Wir meinen die Zusammenarbeit ernst und kicken unsere Zulieferer nicht raus, nur weil der Kautschuk vielleicht ein paar Cent teurer wird. Uns geht es darum, eine Beziehung auf Augenhöhe mit allen Beteiligten in unserer Lieferkette zu haben“, sagt Linda. Ebenfalls etabliert hat einhorn eine leistungsorientierte Lohnerhöhung für die Erntehelfer von durchschnittliche fünfzehn Prozent, die über den Kondom-Produzenten weitergegeben wird.   

XXX – Porno Synchronisation fällt ins Wasser

Ich bekomme langsam ein Gefühl davon, was die Arbeit einer Fairstainability Managerin ausmacht. Es geht um Beziehungsarbeit und darum, genau hinzusehen und nach Lösungen zu suchen, wo sonst schnell gesagt wird: Der nächste bitte – oder: Ich habe nichts gesehen. Von achtzehn Mitarbeitern sind bei einhorn drei für die Nachhaltigkeit zuständig. Fünfzig Prozent aller Gewinne werden in soziale und nachhaltige Projekte reinvestiert. Zusätzlich setzt sich auch Janis für Fairness in der Lieferkette ein, der als Student über die Organisation ASA bald für einhorn nach Malaysia fahren wird, um dort eine neue Plantage zu suchen. Die jetzige ist leider so alt, dass sie in den nächsten Jahren die Produktion von Kautschuk einstellen wird. 
In meiner Woche bei einhorn machen wir ein Stakeholder-Mapping, recherchieren zu Fördermitteln für Nachhaltigkeitsprojekte, sprechen über Kondome in Pizzaverpackung, Bio-Baumwolle für Tampons und machen aus unseren Aktivitäten Content für den einhorn-Blog, frei nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“. Die Nachsynchronisation des Pornos muss krankheitsbedingt leider ausfallen. Wie immer könnte ich noch viele Geschichten erzählen. Mitgenommen habe ich, dass Wirtschaften auch ohne Ausbeutung gewinnbringend funktionieren kann. Nein, eigentlich sogar funktionieren muss. Hunger und Armut in anderen Teilen der Welt können wir vielleicht ignorieren. Die Augen zu verschließen ist leicht. Mit dem Klimawandel und der Migration fällt das schon schwerer. Sie finden nicht nur in den Entwicklungsländern statt, sondern vor unserer eigenen Haustür. Fairstainability Manager ist deswegen ein absoluter und elementarer Job der Zukunft. 
Mein bester Dank für diese Einblick geht an Elisa, Linda, Janis und Maik sowie das gesamte einhorn Team!


Für alle, die sich mehr mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen wollen, hier ein paar Empfehlungen:
Apps:

  • Treeday
  • FairFashionFinder
  • ReplacePlastic

Für Frauen: 

Mehr Tipps auf:
https://www.utopia.de 
https://www.smarticular.net 


Und hier noch ein paar Lesetipp für die Hartgesottenen unter euch von meinem Freund Martin:
Bruno Latour – Das terrestrische Manifest
Stephan Lessenich – Neben uns die Sintflut 
Gregory Fuller – Das Ende
Hans-Peter Dürr – Warum es ums Ganze geht 
Jared Diamond – Kollaps
Oder, wer lieber etwas gucken mag: Welcome to Sodom

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