“Hoffentlich merken die anderen nicht, dass ich gar nicht so gut bin, wie sie glauben.” Hast du diesen oder ähnliche Sätze schon einmal gedacht? Es gibt sicher für jeden Menschen Situationen, in denen wir die eigenen Fähigkeiten hinterfragen und uns weniger zutrauen, als wir eigentlich leisten können.
Bei manchen Menschen treten diese Situationen allerdings sehr häufig aus und gehören fest zu ihrem Alltag dazu – selbst dann, wenn sie Tätigkeiten nachgehen, die sie objektiv betrachtet überdurchschnittlich gut können oder für die sie hervorragend qualifiziert sind.
Aufgrund unserer Gesellschaftsstruktur und der Sozialisation sind vor allem Frauen vom sogenannten „Imposter-Syndrom“ betroffen. Sie führen Erfolge seltener auf sich selbst und ihre Arbeit zurück, sondern viel mehr auf Glück oder Zufall.
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ToggleWoher kommt das Gefühl der Unzulänglichkeit beim Hochstapler-Syndrom?
Die meisten Forschungsarbeiten, die sich mit den Ursachen des Hochstapler-Syndroms auseinandersetzen, konzentrieren sich auf die konkreten Umstände eines Individuums. Dabei wird das Phänomen auf den persönlichen Selbstwert zurückgeführt und als individuelle Folge dessen betrachtet. Wer einen geringeren Selbstwert hat, wird eher dazu neigen wenig Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu haben und sich damit tendenziell häufiger wie ein*e Hochstapler*in fühlen.
Wer den Ursprung jedoch wirklich ergründen möchte, muss einen Schritt zurücktreten und sich unsere Gesellschaft als Ganzes ansehen. Dass überwiegend Frauen sowie Angehörige marginalisierter Gruppen betroffen sind (Feenstra et al), ist weder ein Zufall noch auf eine biologische Tatsache zurückzuführen, sondern lässt sich auf die Rolle der Frau in unserer nach wie vor patriarchal geprägten Gesellschaft zurückführen.
Prägung in der Kindheit – der Einfluss von Gender, Rassifizierung und Diskriminierung
Bereits in der Kindheit und Jugend wird der Grundstein dafür gelegt, in welchen Bereichen ein Mensch sich sicher und selbstbewusst fühlt und wie die eigenen Fähigkeiten artikuliert werden dürfen und sollen. Aller Aufgeklärtheit zum Trotz werden Mädchen nach wie vor hauptsächlich Spiele aus dem Bereich des Care-Takings präsentiert (Puppen, “Mama spielen” mit kleinen Küchen, Tragetaschen und Kinderwagen, Spiel mit Tieren, die umsorgt werden), während Jungen überproportional mit kompetitiven, kämpferischen und lauteren Spielen unterhalten werden.
Das Thema ist groß, sodass ich es nur auf der Oberfläche anschneiden kann. Dennoch wird vermutlich in dieser Betrachtung schon deutlich, dass unsere Arbeitskultur in vielen Bereichen die Menschen belohnt, die lauter, von sich überzeugt, kompetitiv und mit Fokus auf das eigene Vorankommen agieren. Diese Eigenschaften werden männlich sozialisierten Menschen in deutlich höherem Maße vermittelt und von außen zugeschrieben. Neben dem Geschlecht werden auch rassifizierende Merkmale für die Zuschreibung von Kompetenzen und Eigenschaften verwendet, was Schwarze Menschen oder POC ebenfalls mit mehr Widerständen konfrontiert. Je mehr Diskriminierungserfahrungen gemacht werden, desto schwieriger ist es, am Glauben an die eigenen Kompetenzen festzuhalten.
Die Geschichte des Hochstapler-Syndroms – es ist gar nicht so neu!
Schon 1978 veröffentlicht Dr. Pauline R. Clance und Dr. Suzanne A. Imes ein Buch, in dem sie sich mit beruflich erfolgreichen Frauen beschäftigen. Die meisten dieser Frauen führen schon hier ihre Erfolge auf Glück und Zufälle zurück. Ein deutliches Zeichen dafür, dass das Phänomen nicht neu ist, sondern tief verankert ist.
Dr. Pauline Rose Clance beschäftigt sich weiter mit dem Hochstapler-Syndrom und veröffentlichte in den 1980er Jahren eine besonders entwickelte Skala, nach der sich die verschiedenen Stufen des Imposter-Syndroms einteilen lassen. Die Clance Imposter Phenomenon Scale (CIP) unterteilt das Syndrom in 6 unterschiedliche Stufen.
- Hochstapler Zyklus
- Bedürfnis, etwas Besonderes oder am besten zu sein
- Charakteristika von Superman oder Superwoman
- Angst vor Misserfolgen
- Abstreiten von Fähigkeiten oder Abwerten von Lob
- Angst- und Schuldgefühle aufgrund von Erfolgen
Mithilfe eines Fragebogens der CIP kann ermittelt werden, ob nach diesen Kriterien ein Imposter-Syndrom vorliegt. Dieser kann z.B. hier gemacht werden.
Wie sich das Hochstapler-Syndrom äußert – findest Du Dich darin wieder?
Vielleicht hast Du nach den bisherigen Ausführungen schon eine Ahnung, ob Du Dich als vom Hochstapler-Syndrom betroffen einschätzen würdest oder eher nicht. Eventuell hattest Du auch im Vorfeld bereits davon gehört und Dir ein Bild machen können.
Damit Du Dich Deinen Ängsten stellen und Dein Selbstwert stärken kannst, solltest Du zunächst erkennen können, ob und in welchem Ausmaß Du Deine Fähigkeiten unterschätzt und Deine Erfolge nicht auf Dich selbst zurückführst. Daher hier eine Liste an möglichen Symptomen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Du hast das Gefühl, nur wenn Du absolut perfekte Arbeit leistest, kann Deine Arbeit zufriedenstellend sein.
- Du hast das Gefühl, dass Deine Erfolge nicht Deinen Fähigkeiten geschuldet sind, sondern sich auf glückliche Umstände oder andere Personen zurückführen lassen.
- Du zweifelst an Dir selbst und stellst höhere Ansprüche an Dich selbst als an andere.
- Du stellst Dich selbst, Deine Gesundheit und Dein Wohlbefinden hinten an, um noch mehr arbeiten und leisten zu können.
- Du gibst Dich nach außen stärker, als Du Dich eigentlich fühlst.
- Du hast oft das Gefühl, nur so zu tun, als wüsstest Du, was Du tust – auch bei Dingen, in denen Du bereits Routine hast und Erfolge erzielt hast.
- Du hältst Abstand von Kolleg*innen, da Du Angst hast, es könnte jemand herausfinden, dass Du Deinem Job nicht gewachsen bist.
- Das Gefühl und die Angst, jemand könnte herausfinden, dass Deine Kompetenz nicht die ist, die Dir von außen zugeschrieben wird, ist allgegenwärtig.
- Lob macht Dir Angst, denn so steigen die Erwartungen, die andere an Dich stellen.
- Schlechte Leistungen überwiegen in Deiner Erinnerung und stellen die guten Leistungen in den Schatten.
- Deine psychische Gesundheit beginnt unter den oben genannten Symptomen zu leiden.
All diese Gefühle deuten darauf hin, dass du unter dem Hochstapler-Syndrom leiden könntest. Da es sich dabei nicht um eine offizielle Diagnose handelt, sondern um einen beschreibenden Begriff für ein beobachtetes Phänomen, gibt es hier keine scharfe Grenze. Vielmehr sollen die Punkte der Orientierung dienen, um sich daraufhin mit Maßnahmen zur Verbesserung des eigenen Wohlbefindens zu beschäftigen.
Psychische Erkrankungen können Folge oder Ursache des Hochstapler-Syndroms sein
Wie bereits erwähnt handelt es sich beim Hochstapler-Syndrom nicht um eine psychologische Diagnose. Dennoch können einige der aufgelisteten Symptome auch bei manifesten psychischen Erkrankungen auftreten.
So kann etwa eine Depression zu einem temporär stark verminderten Selbstwertgefühl führen. Neben den oben genannten Symptomen würden dann allerdings auch weitere Symptome einer klinischen Depression dazukommen und es sollte eine Psychiaterin oder eine Psychologin aufgesucht werden.
Gleichzeitig können lang anhaltende Gefühle der Unzulänglichkeit und der Angst entlarvt zu werden, mit der Zeit etwa zu einer Erschöpfungsdepression (Burnout) führen. Auch hier sollte frühzeitig auf professionelle Unterstützung zurückgegriffen werden.
Was können Unternehmen und Arbeitgeber*innen tun?
Die Auswirkungen des Hochstapler-Syndroms können für Unternehmen gravierend sein. Die Anzahl der von Burnout Betroffenen kann ansteigen. Mitarbeitende, die unter dem Syndrom leiden, können ihr volles Potenzial nicht ausschöpfen und bleiben damit in ihren Fähigkeiten und ihrem Beitrag für die Firma hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Erschwerend kommt hinzu, dass betroffene Personen in der Regel nicht offen über ihre Situation reden oder sich gar an ihre Vorgesetzte wenden. Daher ist es wichtig, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen öffnen und sich sicher fühlen können. Folgende Maßnahmen können dabei helfen.
Klare Ziele und Erwartungen formulieren
Schon, wenn ein*e neue*r Mitarbeiter*in dazukommt, ist es wichtig, sich im Team zusammenzusetzen und ganz klare Ziele zu formulieren. Hierbei geht es sowohl um die Ziele des Mitarbeitenden als auch um die Erwartungen des Teams an das neue Mitglied. Wichtig ist hierbei eine Kommunikation auf Augenhöhe, die es ermöglicht, in regelmäßigen Abständen neu zu evaluieren und Ziele anzupassen.
Kommunikationskanäle öffnen und regeln
Die Wege der Kommunikation müssen klargestellt und vermittelt werden. Das bietet Sicherheit. Ein direkter Kommunikationspartner für neue Teammitglieder ist sinnvoll, um Sicherheit zu gewinnen und einen konstanten Austausch mit wenigen Hürden zu ermöglichen. Neben arbeitsbezogener Kommunikation ist auch das Aufzeigen und Öffnen von Räumen wichtig, die einen “Plausch an der Kaffeemaschine” ermöglichen und unterstützen. Durch entspannte Möglichkeiten zum Austausch werden Beziehungen geschlossen, die eine vertrauensvolle Atmosphäre unterstützen und den Menschen als Individuum wahrnehmbar machen..
Weiterentwicklung unterstützen und fördern
Interessen an beruflichen Weiterbildungen sollten, soweit es möglich ist, unterstützt werden. Durch die Förderung eigener Interessen und Ziele erhöht sich die wahrgenommene Wertschätzung innerhalb des Unternehmens und die individuellen Kompetenzen werden gestärkt.
Eine gute Feedbackkultur
Feedback ist wichtig, dabei sollte sowohl konstruktives als auch positives Feedback immer wieder und regelmäßig gegeben werden. Das hilft dabei, den Selbstwert der Kollegen zu fördern und ein besseres Gefühl für die eigenen Leistungen zu bekommen. Die Motivation wird zudem ebenfalls deutlich erhöht, wenn gute Leistungen hervorgehoben und honoriert werden.
Was kannst Du als Betroffene*r des Hochstapler-Syndroms selbst tun?
Das Hochstapler-Syndrom setzt sich für jeden aus sehr unterschiedlichen Komponenten zusammen, die auf den eigenen Erfahrungen und Prägungen beruhen. Solltest Du das Gefühl haben, dass dich das Syndrom sehr stark in Deiner Lebensqualität einschränkt, empfehle ich Dir ein Termin bei einem Coach oder die Suche nach einem Therapieplatz.
Ein paar Stichworte, die als Hilfestellung dienen können:
- Rufe Dir immer wieder Erfolge ins Gedächtnis und mache Dir Deinen eigenen Anteil daran bewusst. Führe zum Beispiel ein Erfolgstagebuch, um Deine täglichen kleinen und großen Erfolge zu würdigen.
- Fange an, persönliche Meilensteine zu feiern und nicht einfach erleichtert abzuhaken. Zeige Dir selbst Wertschätzung für Deine Erfolge, stoße darauf an oder veranstalte eine kleine Party – ganz wie es Dir gut tut.
- Verdränge Deine Gefühle nicht, sondern nimm sie wahr und erkenne sie an. Sollte es zu überfordernd sein, suche Dir dafür Unterstützung.
- Sprich mit einer vertrauten Person über Deine Gefühle. Du wirst sehen, dass Du nicht alleine bist und es vermutlich mehr Menschen so geht wie Dir.
- Ein Begleiter im Unternehmen als aktiver Mentor kann vieles erleichtern. Wenn Deine Unternehmenskultur es zulässt, kannst Du Dir auch ganz offen positives Feedback wünschen. Das könnte zum Beispiel so klingen: “Ich bin mir manchmal unsicher, ob meine Ergebnisse so sind wie erwartet, darum würde ich mich über positive Resonanz nach gelungener Arbeit sehr freuen. Das gibt mir Sicherheit und motiviert mich für die Zukunft.”
- Vergleiche Dich nicht mit deinen Kolleg*innen, sondern akzeptiere, dass jeder andere Stärken hat. Tausche Dich stattdessen mit ihnen aus, lerne von ihnen und Du wirst sehen, dass auch sie etwas von Dir lernen können.
- Reflektiere Dich selbst und erkenne an, wenn Du merkst, dass Du unter dem Hochstapler-Syndrom leidest. So kannst du den ersten Schritt aus der Spirale nehmen und Schritt für Schritt selbstbewusster werden.
Übrigens: Falls Du am Ende deiner Überlegungen merkst, dass Du in Deinem jetzigen Beruf einfach nicht am richtigen Platz bist – entweder aufgrund des konkreten Arbeitgebers oder weil Du Dich auch inhaltlich verändern möchtest: Schau Dich doch mal in meinem Onlinekurs um!