Der Begriff „Mental Load“ wird im Alltag oft missverstanden. Daher möchte ich heute ausführlich auf dieses wichtige Thema eingehen. Vor allem Frauen sind im Privatleben oft mit einer überdurchschnittlich großen Mental Load belastet. Es lohnt sich, dies zu erkennen und zu vermindern, um Gleichstellung zu erreichen und mehr Kapazitäten für das eigene Wachstum und Wohlbefinden zu schaffen.
Was ist mit „Mental Load“ gemeint?
Mental Load bezieht sich auf die Verantwortung für einen großen Teil von Aufgaben, Terminen und Befindlichkeiten. „Wenn ich nicht daran denke, denkt niemand daran“, ist ein Satz, der oft in diesem Zusammenhang fällt. Dadurch ist der Kopf immer voll mit allen möglichen Dingen, die nicht in Vergessenheit geraten sollen.
Während ich hier sitze und diesen Text schreibe, denke ich zum Beispiel daran, dass ich heute noch einer Freundin schreiben sollte, um ein Treffen zu vereinbaren, das Duschgel fast alle ist, ich rechtzeitig losfahren sollte zu meinem Arzttermin und, dass ich nachhaken sollte, falls morgen noch keine Rückmeldung von den angefragten Handwerkern da ist.
Beispiele: Das trägt alles zur Mental Load bei
Mental Load zeigt sich vor allem im privaten Kontext. Wenn Du Dich fragst, ob Du auch einen guten Teil der Mental Load in Deiner Beziehung oder Familie trägst, kannst Du Dir folgende Fragen stellen:
Wer denkt an:
- Grüße zu Geburtstagen von Familie und Freunden?
- Das Auffüllen des Vorratsschrankes, wenn die Nudelvorräte sich dem Ende zuneigen?
- Arzttermine für Erwachsene, Kinder oder Haustiere?
- Die Organisation von Reparaturen oder Umbauten?
- Die Urlaubsplanung und -gestaltung?
- Die nächste Wäscheladung?
- Das Ausräumen der Spülmaschine?
- Das Ausmachen von Verabredungen mit Freund*innen?
Warum tragen vor allem Frauen einen Großteil der Mental Load?
Besonders auffällig wird der Mental Load im Familienkontext, wobei er in heterosexuellen Beziehungen vor allem auf den Schultern der Frauen lastet. Sobald Kinder dazu kommen, verstärkt sich dieser Effekt weiter.
Das liegt daran, wie wir sozialisiert wurden und welche Attribute in unserer Gesellschaft dem „Weiblichen“ und „Männlichen“ zugeschrieben werden. Die Frau kümmert sich, ist diejenige, die das Soziale und das Häusliche zusammenhält und traditionell für diese Aufgaben verantwortlich ist. Vielleicht denkst Du jetzt, dass dieses Denken veraltet ist und für jüngere Menschen einfach nicht mehr zutrifft. Das stimmt nur zum Teil.
Wird die Aufgabenteilung denn nicht immer gerechter?
Tatsächlich sehe ich eine positive Entwicklung: Immer mehr männlich sozialisierte Menschen übernehmen mehr traditionell weibliche Aufgaben und bringen sich mehr ein. Der entscheidende Punkt ist aber: Oft werden die Aufgaben zwar geteilt, an die Ausführung denken und erinnern muss aber in vielen Fällen dennoch der weibliche Part in der Beziehung. Es braucht Zeit und Arbeit, um komplett aus diesen Mustern auszubrechen, die systemisch weiter unterstützt werden, gerade wenn Kinder im Spiel sind.
„Du musst ja nur etwas sagen, dann erledige ich das ja auch„, ist ein exemplarischer Satz, der die Dynamik in vielen Beziehungen gut aufzeigt. Gerade dieses „nur etwas sagen“ verbraucht über die Zeit enorm viel Energie, die an anderer Stelle fehlt.
Wo ist das Problem? Der Gender Care Gap
Die große Mental Load auf den Schultern von Frauen (die sowieso schon mit dem Gender Pay Gap, struktureller Ungleichheit und sexistischen Zuschreibungen zu tun haben) verstärkt ein System, das immer noch belohnt, den eigenen Job hintanzustellen. Das gilt vor allem in Familien mit Kindern. Aber auch in anderen (heterosexuellen) Beziehungen kann eine große Mental Load viel Energie in Anspruch nehmen.
Eine Studie aus den USA (1) zeigte 2019, dass 88 % der befragten Mütter die Termine der Familie organisieren und 74 % die notwendigen Haushaltsroutinen verteilen. 78 % gaben zudem an, dass nur sie die Namen der Lehrerinnen und Erzieherinnen ihrer Kinder kannten. Diese Zahlen spiegeln sich auch in Deutschland wider: Im Durchschnitt verbringen Frauen 50 % mehr Zeit am Tag für Kindererziehung, Pflege, Hausarbeit und Ehrenämter. Dieses Phänomen bezeichnen wir als Gender Care Gap.
Wer bereits vorm Frühstück an zehn Dinge erinnern und denken musste, hat weniger Kapazitäten, sich in anspruchsvolle Tätigkeiten zu stürzen und anschließend noch eine selbstwirksame Freizeit zu verbringen. Dadurch werden traditionelle Rollenmuster weiter verstärkt.
Ich habe das in meinem Umfeld deutlich gesehen: Die aufgeklärtesten, beruflich engagiertesten Frauen fielen nach der Geburt ihrer Kinder immer mehr in eine Überlastung, die dann nicht nur ihr berufliches Fortkommen, sondern auch ihre psychische Gesundheit schädigte. Die männlichen Eltern meines Freundeskreises waren hier und da erschöpft und brachten sich in allen Fällen gut ein – dennoch lief ihr Job weiter wie zuvor, und sie nahmen auch weiter an ihren wichtigsten Freizeitaktivitäten teil, sobald die erste Säuglingszeit vorbei war.
Bin ich betroffen? Was sind Symptome einer großen Mental Load?
Ein erster Anhaltspunkt kann die oben genannte Liste sein. Schreib Dir einmal alle Dinge auf, an die in Deinem Haushalt gedacht werden muss und wer daran denken muss. Wie ist das Verhältnis? Wer übernimmt die zeitkritischen und wichtigen Erinnerungen?
Wenn Du das Gefühl hast, dass Du an (fast) alles denken musst, weil sonst einfach alles liegen bleibt, liegt der Verdacht nahe, dass Du einen guten Teil der Mental Load in Deiner Familie trägst. Wichtig ist dann ein Gespräch mit Deiner Familie, vielleicht mit Unterstützung von außen. Je nachdem, wie es Dir mit der aktuellen Situation geht, kann auch ein Coaching oder eine Therapie eine sinnvolle Ergänzung sein.
Buch-Tipp: „Raus aus der Mental Load-Falle“ von Patricia Cammarata.
Was können wir tun, um die Last aufzuteilen?
Von außen betrachtet ist die Antwort einfach: Alle Menschen im Haushalt sollten einen Teil der Mental Load tragen. In einer Partnerschaft sollten beide Parteien gleichberechtigte Bereiche haben, in denen sie den Überblick behalten. Für Eltern gilt: Beide sollten den Überblick haben, alle Aufgaben übernehmen können und sich gegenseitig erinnern. Auch Kinder können ab einem gewissen Alter in Aufgaben einbezogen werden.
Das Wichtigste dabei ist, dass es nicht nur um das Delegieren von einzelnen Tätigkeiten geht, sondern um das Zuweisen von Zuständigkeiten. Auf Dauer sollten alle Familienmitglieder (entsprechend ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten) einen Teil der Mental Load tragen.
Häufig ist eine solche Umstellung aber nicht so einfach. Dynamiken, die sich über Jahrzehnte und schon in der Sozialisation eingeprägt haben und die von vielen Glaubenssätzen gestützt werden, sind in den meisten Fällen nicht über Nacht verändert. Wenn es also eher schleppend oder gar nicht vorangeht, kann eine außenstehende Person helfen, Struktur in die Veränderung zu bringen und mit den einzelnen Parteien an ihren Widerständen zu arbeiten. Am Ende sollte dann eine Aufteilung stehen, bei der alle Familienmitglieder ihre Fähigkeiten selbstständig einbringen und so genug Raum für ein erfülltes Leben aller entsteht.
Fazit: Die Mental Load-Falle ist real – lasst uns das ändern!
Damit Frauen ein erfülltes Arbeits- und Familienleben haben können, ist die Reduktion ihrer Mental Load ein entscheidender Faktor. Die frei werdende Energie und Zeit können dann in die Verfolgung eigener Ziele und Prioritäten gesteckt werden – egal, ob das der Job, ein Hobby oder eine entspannte und damit fokussierte Zeit mit Kindern oder Angehörigen ist.
Lasse dich von anfänglichen Widerständen und Problemen bei der Neugestaltung der Verantwortlichkeiten nicht entmutigen. Veränderung braucht Zeit und Arbeit, aber es lohnt sich in diesem Fall besonders.
1: Lucia Ciciolla, Suniya S. Luthar: Invisible Household Labor and Ramifications for Adjustment: Mothers as Captains of Households. In: Sex Roles. Band 81, 22. Januar 2019, S. 467-486.