Dass Wissen Macht ist, wusste ich schon. Wie weh Wissen aber auch tun kann, lerne ich in dieser Woche. Mal angenommen: Ich lebe in einer glücklichen Beziehung mit meinem Freund. Er ist die Person, die mich ergänzt, mit der ich gemeinsam lachen kann und die mir ungefragt Wein nachschenkt, wenn ich denke, dass es ruhig noch ein Schlückchen sein dürfte. Wären da nicht immer wieder die Lippenstiftflecken auf seinem Hemdkragen. Das Frauenparfum, das in seinen Haaren hängt, wenn er nach vielen Überstunden geschafft nach Hause kommt und „einfach nur noch schlafen will“. Die Rechnungen für Hotelaufenthalte, die aus seiner Aktentasche herauslugen. Mühe, die Zeichen zu verstecken, macht er sich keine. Ich nehme ein Stück Gallseife und rubbele an dem Fleck auf seinem Hemd herum. War da was? Die Rechnungen schiebe ich mit den Fingerspitzen wieder zurück in die Tasche. Ich habe nichts gesehen. Ich liege noch länger wach. Mein Magen krampft. Sollte ich doch genauer hinsehen? Ihn fragen und mit meinen Vermutungen konfrontieren? Muss ich mich trennen, falls ich Recht habe? Die Wohnung auflösen, die Möbel aufteilen? Einsam sterben? Was für eine Vorstellung. Ich schlafe ein.
In dieser Woche habe ich nachgefragt, wollte ich wissen, was ich eigentlich schon längst wusste. Ich bin wieder in Österreichs Hauptstadt und teste den Job der Programm-Managerin in der Entwicklungszusammenarbeit bei der Austrian Development Agency. Einfach gesagt ist mein Thema in dieser Woche staatliche Entwicklungshilfe. Also mit ein paar Steuergeldern Schulen bauen und Brunnen bohren in Afrika. Meine Woche bei der ADA ist durchgeplant. Montag Kosovo-Forum in der Wirtschaftskammer, Dienstag Evaluierung der Uganda-Strategie im Außenministerium, Mittwoch Termine zu Menschenrechtsansätzen und entwicklungspolitischer Bildung, Donnerstag erfolgt die Prozesserstellung für die hausinterne Bonitätsprüfung von Unternehmen für potentielle Wirtschaftspartnerschaften, Freitag Infos zu der Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und der Öffentlichkeitsarbeit. Ich gebe mein Bestes, aber verstehe nicht einmal die Hälfte. Ganz so einfach ist es also doch nicht und bloßer Schulen- und Brunnen-Bau reines Vorurteil.
Den Zugang zu dem Job als Programm-Managerin für Wirtschaftspartnerschaften finde ich einmal mehr über das Schreiben. Für ein Projekt erstelle ich aus den Projektunterlagen eine Kurzinformation für PR Zwecke. Eine österreichische Schuh-Firma möchte bei ihrem Hersteller in Bangladesch sowohl eine Ausbildungsstruktur einführen als auch funktionierende Geschäftsprozesse. Die Gerbereien, die mit dem Hersteller zusammenarbeiten, sollen ebenfalls geschult werden – zum Thema Umweltschutz, damit sie nicht mehr zigtausend Liter Chemikalien pro Tag ungefiltert in den Fluss kippen, der auch für die Wasserversorgung der Stadt genutzt wird. Zusätzlich werden 400 neue Arbeitsplätze geschaffen.
Die beiden Programm-Manager Susi und Gottfried stehen mir Rede und Antwort. Ihr Job bei solch einer Wirtschaftspartnerschaft ist es erst einmal, die Projektideen zu prüfen. Da gilt es beispielsweise zu schauen, ob die Idee einen nachhaltigen Nutzen für die Arbeitnehmer und die Bevölkerung in den Schwellen- oder Entwicklungsländern hat und falls nicht, wie man diesen erreichen könnte. Ob die antragstellende Firma überhaupt über genügend Eigenkapital verfügt, um das Projekt, das bis zu 50 % aus staatlichen Mitteln gefördert werden kann, durchzuführen. Ob die Firma einen guten Ruf hat oder schon einmal wegen Ausbeutung oder anderer Skandale in die Schlagzeilen geraten ist. Ob die Interessen der Entwicklungszusammenarbeit genügend Platz bei der Umsetzung finden.
Die Beratung der antragstellenden Unternehmen kostet viel Zeit. Bei einer Förderung soll ein messbarer Mehrwert erreicht werden, der ohne die Förderung nicht zustande gekommen wäre. So wird die Ausbildung in Bangladesch beispielsweise dank Susis Initiative nicht im Unternehmen für lediglich eine Handvoll Fachkräfte durchgeführt, sondern in Kooperation mit einer lokalen Schule. In dieser Schule können langfristig weitere Fachkräfte für den gesamten Markt ausgebildet werden. Eingesetzt hat sie sich auch für die Schulung der Gerbereien, die einen großen Beitrag für den Umweltschutz in Bangladesch leisten können, wenn die Betreiber nur zu einem kleinbisschen Umweltbewusstsein gelangen.
Über die Umsetzung der Projekte entscheidet ein Gremium, bei dem beispielsweise auch das Außenministerium vertreten ist. „Ich weiß, warum ich die teils langen Wege und die Bürokratie in meinem Job in Kauf nehme, wenn ich ein Herzens-Projekt auch gegen anfängliche Bedenken durch das Gremium bringen konnte oder wenn ich vor Ort sehen kann, dass die Förderung einen tatsächlichen Unterschied für die Menschen macht“, erfahre ich von einer Kollegin. Eine gewisse Bürokratie und Transparenz sind unvermeidbar, wenn es um die Ausgabe von Steuergeldern geht. Das sehe ich ein. Und die Kollegin auch. Sie hat ihren Traumjob gefunden, auch wenn er Kompromisse fordert.
Was ich in den Gesprächen mit den Kollegen der ADA in dieser Woche lerne ist, dass die Arbeit in den Entwicklungsländern nur die eine Seite der Medaille ist – wenn auch eine wichtige. Auf der anderen Seite stehe ich mit meinem ganz persönlichen Lebenswandel. Mit ein paar Spenden ist es nicht getan. Auch wenn die vielleicht mein Gewissen beruhigen. Langfristig gesehen reicht es nämlich nicht, die Lippenstiftreste wegzuwischen, den fremden Frauenduft mit stärkerem Parfum zu übertünchen. Wenn die Wahrheit ist, dass man vom Partner betrogen wird, dann sollte man sich fragen, ob man damit leben kann oder andernfalls die Konsequenzen ziehen. Augenverschließen hilft nicht.
Für die Entwicklungszusammenarbeit heißt das, auch einmal nach dem Warum zu fragen. Warum werden die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern ausgebeutet, die Umwelt verpestet, die Ressourcen verschleudert? Mal ganz im Ernst: jeder von uns kennt die Antwort. Weil wir immer mehr immer billiger haben wollen und in kürzeren Abständen alt gegen neu tauschen. Wo eine Nachfrage ist, da ist auch ein Angebot. Und wenn wir uns unseren nächsten 15 Euro Pullover kaufen, dann wissen wir im Grunde auch, dass irgendwo anders auf dieser Welt jemand den Preis dafür zahlt. Die Nachricht, die Schriftsteller Kurt Vonnegut Außerirdischen am Grand Canyon hinterlassen wollte, trifft es glaube ich ganz gut: „Wir hätten uns retten können, aber wir waren zu faul, um uns wirklich Mühe zu geben. Und verdammt geizig.“
Ich fühle mich schlecht. Auch wenn bei mir keine zwischenmenschliche Beziehung in die Brüche gegangen ist. Ich werde jetzt in die Stadt gehen und versuchen, meine Laune mit einem Schnäppchen wieder aufzubessern. Oder doch nicht? Scheiße, ich habe ein Problem. Programm-Managerin werde ich nicht werden. Für das wohl notwendige Maß an Bürokratie fehlt mir die Geduld. Aber in eine NGO würde ich gern noch einmal schauen. Denn viel mehr Sinn als in der Entwicklungszusammenarbeit kann man wohl nicht finden.
Herzlichen Dank an Herrn Ledolter, Manuela, Gunter, Steffi, Susi, Gottfried und alle anderen hilfsbereiten Kollegen der ADA. Genauso herzlich möchte ich mich bei den Bertolinis bedanken. Mein Lieblingsplatz in Wien ist euer Wohnzimmer.
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