WORKSHOP: "Wie du im Job gesunde Grenzen setzt und kommunizierst"

Job 20 – Tierpräparatorin

Jannike Stoehr

Stell dir vor, Angela Merkel ruft bei dir an und fragt, ob du morgen Zeit hast, um auf einen Kaffee bei ihr vorbeizukommen. Was antwortest du?
Es gibt Einladungen, die schlägt man nicht aus. So geht es mir, als sich Miriam vom Naturhistorischen Museum in Wien bei mir meldet und mir ein Praktikum anbietet. Das NHM gilt als eines der bedeutendsten Naturmuseen der Welt und fragt mich, ob ich vorbei kommen möchte. Na klar, ich bin begeistert! Bis ich lese, um welchen Job es sich handelt. Tierpräparatorin. Wie widerlich. Tote Tiere. Ich erinnere mich noch gut an meine Zusage: „Liebe Miriam, herzlichen Dank für euer Angebot. Ich würde es gern zusammen mit der damit verbundenen Mutprobe annehmen.“
Und jetzt sitze ich vor einer Amsel und halte eine Pinzette in der Hand, an der Teile von einem Amselgehirn kleben. „When I need motivation, My one solution is my queen ‚cause she‘ stay strong yeah yeah“. Im Radio spielt Cheerleader von OMI. Ich falte einen Schnipsel Zellstofftuch und stopfe ihn mithilfe der Pinzette in den Vogelkopf. Ich ziehe ihn mit milchigem, weißen Schleim wieder heraus – Amselgehirn. Drei, vier, fünf schleimige Tuchfetzen ziehe ich nacheinander aus dem Kopf heraus. Mein Brechreiz setzt ein. „Ich glaube, ich bin fertig“, würge ich heraus und reiche Tierpräparatorin Nathalie die Amsel hinüber. Nathalies Vogelschädel ist schon blitzeblank. An ihm hängt nur am Schnabel befestigt das nach innen gestülpte Federkleid samt Flügeln und Beinen. „Na, ist deine Ekelgrenze erreicht?“, lacht Nathalie mich an. Ich schaue aus dem Fenster. Ich habe gerade einen Vogel aufgeschlitzt, die Haut vom Fleisch gelöst, seine Kniegelenke durchschnitten, das Fleisch von Elle und Speiche gezogen, den Kopf von der Wirbelsäule getrennt, die Augen rausgerupft und ein Loch in den Schädel geschnitten. Ja, meine Ekelgrenze ist erreicht. Nathalie erlöst mich und holt noch einmal die gleiche Menge an Gehirn aus dem Kopf. Die beiden Vogelbälge präparieren wir für wissenschaftliche Zwecke.
Das Häuten und Abziehen ist der erste von drei Arbeitsschritten in der Tierpräparation. Zimperlich darf man hier nicht sein und sollte auch nichts gegen Blut und Innereien haben. Wer Anatomie liebt, kommt hier aber auf seine Kosten. Wusstet ihr zum Beispiel, dass Vögel nicht am ganzen Körper Federn haben, sondern Federreihen, die sich dann zu einem vollen Federkleid aufplustern? Und Wahnsinn, wie das mit dem Lenken vom Stoß und dem Fliegen funktioniert. Ist schon alles ziemlich gut durchdacht. Die Präparatoren im Museum sind grundsätzlich für alle Wildtiere zuständig, die hier abgegeben werden. Abgegeben werden nur auf natürliche Art gestorbene Tiere. Exotisch wird es, wenn der Tiergarten Schönbrunn anruft und ein Zebra oder Elefant auf seine Präparation wartet.
Die eigentliche Präparation, also das Haltbarmachen von tierischen Körpern, folgt nach dem Säubern. Direkt am Montag komme ich in den „Genuss“ einer Präparation, der Lieblingsaufgabe von Kollegen Gerhard. Für die kommende Ausstellung wird noch ein Hamster gebraucht. Gerhard holt die Hamsterhaut aus einem Glas mit Alkohol, spült sie aus, schleudert sie in einer Zentrifuge und dann noch einmal in einem Behälter mit Sägespänen, damit keine Feuchtigkeit übrig bleibt. Neben der Haut sind noch Schädel und Beinknochen vom ursprünglichen Hamster über. Aus Holzwolle und Faden hat Gerhard bereits einen Körper nach den Originalmaßen angefertigt. Jetzt wird aber erst einmal Holzwolle um die Beinknochen gewickelt, naturgetreu in Muskelform. Der Körper wird in die Haut gesteckt und auch Beine und Schädel erhalten ihren ursprünglichen Platz in der Hamsterhaut zurück. Mittels eines Drahtes befestigt Gerhard die Beine und den Schädel am Körper. Dann rückt er die Haut zurecht. „Is a bisserl wie Puppenanziehen, ge?“, Gerhard grinst. Mit Ton modelliert er fließende Übergänge von Gliedmaßen zu Tiertorso. Als alles sitzt, näht er das Fell am Bauch des Hamsters zusammen. Ein Mann, der nähen kann. Toll! Das Gesicht vom Hamster sieht grauselig aus. Ich frage mich wie er das wieder hinkriegen will. In den Hamsterbacken landet nach und nach immer mehr Ton, womit es tatsächlich Formen annimmt. Richtig niedlich ist er geworden, ich bin beeindruckt. Nachdem Gerhard die Glasaugen eingesetzt hat, die Gliedmaßen in Position gebracht hat, wird der Hamster geföhnt und bekommt eine Massage mit einer Zahnbürste. Nicht, dass er die noch bräuchte, aber das Fell sieht dann noch schöner aus. Ich stelle in dieser Woche immer wieder fest, mit wie viel Liebe die Kollegen aus der Museumspräparation die Tiere wieder herrichten. Da wird geföhnt, gekämmt, mit Pinzetten gezupft, verlorene Farbe wieder nachgemalt. Schön sollen sie aussehen, die Tiere. Und das tun sie auch.

Darüber hinaus kann ich in dieser Woche neben der obligatorischen Frage nach dem Traumjob zwei weitere für mich klären: Gibt es Vegetarier unter den Präparatoren und haben Präparatoren ausgestopfte Tiere zuhause? Ups, böses Wort – ausgestopft heißt das nämlich nicht. Voll veraltet. Es heißt „präpariert“. „Ups“ denke ich übrigens auch, als ich mit meinem Ärmel einmal fast im Hirn-Schmadder der Amsel lande. Aber zurück zu den Fragen: Von den sechs Präparatoren und einer Modellbauerin im Team leben zwei vegetarisch. Eine der beiden ist die Modellbauerin. Und auch sie ist die einzige im Team, die ein präpariertes Tier zuhause hat. Einen Papageien.
Meine Woche endet auf dem Dach des NHMs mit einer Sonnenfinsternisparty, Sekt inklusive. Der Chef hat Geburtstag und gibt aus. Ich kann mir gerade nichts Schöneres vorstellen. Der Beruf der Tierpräparatorin kommt dennoch nicht in die nähere Auswahl auf meiner Traumjobsuche. Aber dafür habe ich meine Komfortzone mal wieder verlassen. Und das tut hin und wieder ganz gut. Ein Traumjob könnte dieser Beruf für jemanden sein, der Zoologie und Tiere liebt, robust ist, über räumliches Vorstellungsvermögen und einen Sinn für Ästhetik verfügt, sowie handwerkliches Geschick besitzt.Viele der Kollegen hier wollten übrigens ursprünglich einmal Tierpfleger werden.
Mein Dank für die äußerst humorreiche Woche und geopferte Zeit an Robert, Gerhard, Nathalie, Miri, Iris, Edie und Miriam. Fürs Wohnen gleichermaßen wie letzte und nächste Woche an die Bertolinis.

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