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Job 30 – Hebamme

Jannike Stoehr

Knapp fünfzig Wochen nachdem ich mir meinen Weg durch kindersichere Türen zu meinem ersten Job als Erzieherin bahnte, finde ich mich in einer ähnlichen Situation in Bayreuth wieder. Ich finde den Eingang nicht zu meinem letzten Job, der einen Schritt vor dem der Erzieherin ansetzt. Durch eine Gartenpforte betrete ich das Grundstück der in der E-Mail angegebenen Adresse, die mir Hebamme Stefanie einen Tag zuvor geschickt hatte. Links von mir befindet sich eine weitere Pforte, die zu einer Terrasse führt. Rechts von mir ein Gartenhäuschen, vor mir der Garten. Ich entscheide mich für den Garten und finde hinter dem Haus tatsächlich die Eingangstür mit Klingel und Namensschild. Wer sie heute wohl öffnen wird?
Es ist eine schlanke Frau, in etwa so groß wie ich, die ihre dunklen Haare zu einem Zopf zusammengebunden hat. Sie trägt eine große Brille mit einem dunklen Rahmen, stellt sich als Stepsi vor und wirkt ganz schön erwachen auf mich. Ich erfahre später, dass sie wie ich 28 Jahre alt ist und mit ihrem Freund, ihrer 10-jährigen Tochter, Hund und Pferd in dem Reihenhaus lebt, durch dessen Garten ich gerade geschlichen bin. So in etwa hatte ich mir mein Leben mit 28 auch vorgestellt als ich noch ein Kind war. Manchmal kommt es anders als man denkt.
Kurze Zeit später sitzen wir im Auto und machen uns auf den Weg zur ersten Mutter mit Kind, die Stepsi als freiberufliche Hebamme betreut. Wir klingeln an der Tür, schlüpfen aus unseren Schuhen und folgen einer frischgebackenen Mama in das Esszimmer. Seit ein paar Tagen sind Mutter und Sohn nun zuhause, etwas früher als geplant, aber wohlauf. Stepsi wiegt und wickelt den Kleinen, untersucht seine Haut, hört sich Sorgen und Fragen seiner Mutter an und macht eine Stillberatung. Denn ganz so einfach, wie ich mir Stillen vorgestellt hatte, ist es nicht. Oftmals bedarf es einiger Kniffe und Tricks, um das Kind zum Trinken zu bewegen.
„Wenn etwas ist, dann rufe einfach an. Auch nachts ist das kein Problem. Ich habe mein Handy am Bett“, verabschiedet sich Stepsi von der ersten Mutter, die ich in dieser Woche kennenlerne. Als nächstes besuchen wir eine Zwillingsfamilie. Die beiden Jungs sind bereits acht Wochen alt. Viele Besuche wird Stepsi hier nicht mehr machen. Generell steht sie ihren Frauen zwar die gesamte Stillzeit zur Verfügung. Die zeitlichen Abstände der Besuche werden mit zunehmendem Alter der Kinder jedoch größer, bis sie schließlich ganz eingestellt werden.
„Nimm du ihn mal“, fordert Stepsi mich auf und drückt mir einen Zwilling in die Arme. Prompt fängt er an zu schreien. Mein Puls beschleunigt sich, fühle ich mich doch verantwortlich dafür, dass es dem Kleinen gut geht. Ich laufe in der Wohnung auf und ab, das Schreien wird weniger. Ganz schön schwer so ein Säugling. Ein wenig erleichtert gebe ich ihn schließlich zurück zur Mutter. Sie mustert ihren Sohn und dreht ihn von einer Seite auf die andere. „Irgendjemand von euch hat Glitzer drauf“, stellt sie schließlich fest und schaut uns fragend an. Mein Rouge glitzert ein wenig, fällt mir ein und lege eine Beichte ab. „Macht nichts“, grinst mich die Zwillingsmama an. Trotzdem, Rouge wird für diese Woche gestrichen.

Von Hausbesuch geht es zu Hausbesuch. Neben Müttern mit Kind besuchen wir auch schwangere Frauen. Bei ihnen misst Stepsi Blutdruck, tastet den Bauch ab, erkundigt sich nach dem Befinden, beantwortet Fragen, empfiehlt homöopathische Mittel und akupunktiert. „Darf die Jannike auch mal tasten?“, fragt Stepsi die Frau, die vor ihr mit nacktem Bauch auf dem Sofa liegt. Ich bekomme die Erlaubnis, desinfiziere meine Hände und lege meine Finger auf den Bauch der Fremden.
„Taste mal nach der Gebärmutter. Findest du das obere Ende? Du musst mit den Fingern richtig in den Bauch drücken, sonst spürst du sie nicht“, leitet Stepsi mich an. Mir ist das unangenehm. Ich kann doch nicht einfach der Frau im Bauch rumdrücken. Doch kann und muss ich, wenn ich wissen will, ob in der Schwangerschaft alles nach Plan verläuft. Da, ich fühle etwas Hartes, etwa zwei fingerbreit oberhalb des Bauchnabels. „Wenn sich das obere Ende der Gebärmutter auf Höhe des Bauchnabels befindet, dann ist die Frau in der 24. Schwangerschaftswoche. Mit den zwei Querfingern oberhalb des Bauchnabels ist sie dann in der 28. Woche“, erklärt mir Stepsi.
Ohne Schwangerschaft sitzt die Gebärmutter wie eine auf dem Kopf stehende Birne im Becken der Frau und ist in der Regel sieben Zentimeter lang. Während der Schwangerschaft wächst sie in Richtung Herz, bis sie gegen Ende dann mit den Rippen der Frau abschließt. Die restlichen Organe werden entsprechend zur Seite oder nach hinten gedrängt. Logisch also, warum hochschwangere Frauen oftmals kurzatmig sind. Die Lunge hat einfach nicht mehr so viel Platz wie zuvor.
Zwei Vormittage verbringen wir in Stepsis Büro in einer Frauenarztpraxis. Ich lerne wie man ein CTG macht, also die Herzfrequenz des Babys und die Wehentätigkeit der Mutter misst, auf was bei der Untersuchung des Urins zu achten ist und wie man mit Manschette, Blasebalg und Stethoskop den Blutdruck misst.
„Blutdruck, Gewicht, Urin, das sind alles Dinge, die wir untersuchen, um möglichst frühzeitig eine Schwangerschaftsvergiftung festzustellen. Die kann lebensbedrohlich für Mutter und Kind werden und in diesem Fall ist die einzige Therapie, die Geburt einzuleiten “, erklärt Stepsi, während sie die Daten im Mutterpass einer Frau einträgt. „Ihre Werte sind alle gut“, ergänzt sie und schaut zur Frau hinüber, die gerade am CTG angeschlossen ist. „Bitte nicht lachen, aber spricht eigentlich aus medizinischer Sicht etwas dagegen, wenn ich übermorgen beruflich zu einem Helene Fischer Konzert gehe?“, fragt die Frau am CTG. Stepsi kann sich das Lachen nicht verkneifen: „Aus gesundheitlicher Sicht nicht. Die Lautstärke ist nicht schädlich für das Kind.“
Auch wenn Stepsi aufgrund der Versicherungsproblematik keine Geburten mehr betreut, erscheint mir der Hebammen-Beruf sehr gefühlvoll und intim zu sein. Wie Arbeit fühlt es sich in dieser Woche nur selten für mich an. Ich habe viele erschöpfte Frauen gesehen, denn schwanger oder frisch Eltern zu sein ist anstrengend. Aber gleichzeitig habe ich in freudestrahlende Augen geblickt, wenn der Herzschlag des Babys zu hören war oder das Baby im Arm seiner Eltern lag. Es gab Freudentränen, Umarmungen und immer lag ganz viel Liebe in der Luft. Wo viel Licht ist, ist aber auch manchmal Schatten. Stepsi steht deswegen auch Frauen mit Depressionen zur Seite, die in etwa bei 10 % aller Frauen vor oder nach der Geburt auftreten.
Am Freitagabend schmeißt Stepsi mit ihrer Familie und Freunden ein Grillfest, um mit mir den Abschluss des spannendsten Jahres meines Lebens zu feiern, als der Anruf kommt: es geht in den Kreißsaal. In der allerletzten Nacht meines allerletzten Jobs heiße ich gemeinsam mit Helena und Dominik den kleinen Mattis willkommen, das süßeste Baby, das ich je gesehen habe. Die schönsten Geschichten schreibt immer noch das Leben selbst.
Freiberufliche Hebamme werde ich nicht werden und ob es ab Sommer 2016 überhaupt noch welche geben wird, ist fraglich. Noch gibt es keinen Versicherungsanbieter, der sie dann noch aufnehmen würde. Hoffen wir einmal, dass sich eine Lösung findet.
Ich bedanke mich für eine herzliche letzte Woche bei Stepsi! Bei allen Frauen, die mich haben teilhaben lassen, an ihrer Schwangerschaft oder ihrem Muttersein. An Helena und Dominik, deren Geschichte in der gebührenden Ausführlichkeit ins Buch kommt. An meine Couchsurfer Stefan, Anne und Mona. Und noch einmal an Stepsi, Steffen und Maya für eure Gastfreundschaft und das Grillfest!

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