WORKSHOP: "Wie du im Job gesunde Grenzen setzt und kommunizierst"

Job 6: Lehrerin

Jannike Stoehr

Ich bin wieder in der Schule! Lang, lang ist es her, dass ich aus der Schule entlassen wurde. Damals nicht ahnend, dass ich ein Schulgelände eines Tages wieder freiwillig betreten würde.
Meinen ersten Eindruck gewinne ich bereits im Juni. Für ein Vorstellungsgespräch beim Direktor überquere ich den Schulhof – es ist große Pause. Ein Schüler ruft mir zu: „Sind Sie Lehrerin?“ Ich freue mich, bin aber auch ein wenig irritiert, dass ich mittlerweile ganz offensichtlich auf der anderen Seite zu stehen scheine. Als ich verneine, nimmt das Interesse so schnell ab, wie es gekommen ist. Die Begrüßung erschließt sich mir während meiner Praktikumswoche im September. Auf dem Schulhof ist Handyverbot und die Frage galt wohl lediglich der Absicherung einer sanktionsfreien Handynutzung. Nun gut.
Mein Praktikum beginnt direkt mit einer Vertretungsstunde. Eine Lehrkraft ist kurzfristig ausgefallen. So wird umdisponiert und ich finde mich einige Minuten später als Betreuerin einer Lernzeit im Klassenraum einer 9. Klasse wieder. In einer Lernzeit bearbeiten die Schüler selbstständig ihre Aufgaben aus den vorangegangenen Unterrichtsstunden, sodass ich die Betreuung auch als ungelernte Kraft übernehmen kann. Zudem schaut die Klassenlehrerin hin und wieder nach dem Rechten. Sie stellt mich zu Beginn der Stunde vor. „Frau Stöhr macht diese Woche ein Praktikum an unserer Schule und hat ein ganz spannendes Leben! Ihr könnt sie gern ausfragen, oder Frau Stöhr?“ Na klar. Ich berichte in Kurzfassung über mein Projekt und über mein Leben davor. Normalerweise werde ich Dinge gefragt wie „Warum machst du das?“, „Wie finanzierst du das?“, „Und, wie ist es so?“ und „War schon ein vielversprechender Job dabei?“. Heute nicht.
„Frau Stöhr, Sie waren doch mal in China oder?“
„Ja!?“
„Sprechen Sie Chinesisch?“
„Ich kann mich verständigen, aber bin Analphabetin. Chinesische Schriftzeichen lesen und schreiben kann ich leider nicht.“
„Haben Sie schon einmal Hund gegessen?“
„Nein, dafür aber Skorpion.“
„Wie schmeckt der?“
„Neutral.“
„Wie alt sind Sie?“
Und damit ist die Fragerunde dann auch schnell wieder beendet. Die Schüler widmen sich vorbildlich ihren Aufgaben. Die Klassenlehrerin wirft einen Blick in den Klassenraum. Ganz toll entwickelt hätten sich die Schüler in den letzten Jahren. Ihren Stolz kann man ihr förmlich ansehen. Auch ein Ausdruck von Leidenschaft.
Im Anschluss an die große Pause folgt Matheunterricht. Das Thema ist „Gleich, gleicher, Gleichung“. Die Lehrerin wiederholt mit den 8. Klässlern die Vorkenntnisse zu Termen, erklärt mit Hilfe des Bildes einer Waage was Gleichungen sind und errechnet dann mit den Jugendlichen die ersten Unbekannten. Gleichungen fand ich schon immer toll. Beim selbstständigen Aufgabenlösen melden sich einige Schüler. Jetzt kann ich auch was tun. Ich erkläre einem Jungen, „wie man das x herausbekommt“. Aus dem Augenwinkel sehe ich später, wie er seinem Sitznachbarn die Aufgaben erklärt. Er scheint es verstanden zu haben. Ich freue mich!
Im Laufe der Woche lerne ich verschiedene Fächer und Jahrgänge kennen sowie die Arbeit der schuleigenen Sozialpädagogin. Langsam begreife ich, dass hinter dem Lehrerberuf viel mehr steckt als Frontalunterricht zu halten, Klassenarbeiten zu korrigieren und in die Ferien zu fahren.
„Man erkennt recht schnell, wer sich zuhause an Regeln halten muss und wer nicht“, erklärt mir der Klassenlehrer einer frischen 5. Klasse. Ein Junge fällt im Unterricht bereits auf. „Regeln einzuhalten muss er noch lernen. Das ist viel Arbeit.“ Die meiste Aufmerksamkeit fließt den Störern zu. Das macht den Lehreralltag anstrengend. Genauso wie die Lautstärke in einer Schule, schwierige Elterngespräche oder die Aufmerksamkeit der Schüler zu behalten. Ein Schüler fläzt sich auf seinen Stuhl, steht im Unterricht auf und benimmt sich auch sonst aus meiner Sicht auffällig. Ich würde ihm das nicht durchgehen lassen, denke ich. In der Pause frage ich den Klassenlehrer, warum er nicht eingegriffen hat. „Jeremy ist das Alphatier. Er kann sich zum Zugtier entwickeln und die Klassengemeinschaft nach vorne bringen. Aber daran ein positives Vorbild zu werden, arbeiten wir noch.“ Die Antwort von Hrn. Müller überrascht mich. Ihn einsetzen als Zugtier? Sein Verhalten in etwas Positives entwickeln, ihm ein Gefühl dafür vermitteln was für seine Klassenkameraden vorbildhaft ist und was nicht? Daran habe ich nicht gedacht. Gute Idee!
Mein Tag bei der Sozialpädagogin lässt mich einmal mehr erinnern, wie gut ich es immer hatte. Katharina bietet Pausenbetreuung, Bewerbertraining, Arbeitsgemeinschaften, Beratung und vieles Weitere an und liebt ihren Job. In drei Worten beschreibt sie ihn folgendermaßen: Abwechslung, Sinn und Anstrengung. Die Lautstärke ist auch hier extrem und die Kinder testen unablässig ihre Grenzen aus. Souverän setzt Katharina sich durch. „Es fragen mich Schülerinnen um Rat, deren beste Freundin ihnen gerade die Freundschaft gekündigt hat. In anderen Fällen geht es um Liebeskummer, schwierige Situationen Zuhause, wie Liebesentzug, mangelndes Interesse oder sogar Gewalt.“ Ich bin traurig als sie mir erzählt wie ein Mädchen allein zwei Stunden zu früh zur Einschulung kam und alleine auf die Klassenzuteilung warten musste. Eine Schultüte hatte sie nicht bekommen. Was für einen wichtigen Beitrag kann man leisten, wenn man so ein Kind an die Hand nehmen kann und ihm zumindest für einen Moment das Gefühl geben kann, nicht alleine zu sein. Auf dem Flyer der Sozialpädagogin findet sich folgendes Zitat: „Kinder sind Reisende, die nach dem Weg fragen, wir wollen ihnen gute Begleiter sein.“ Einige Kinder scheinen keine Eltern zu haben, die sie nach dem Weg fragen können, keine Eltern, die sich für sie interessieren. Wie wichtig, wenn sie zumindest in der Schule jemanden haben, den sie fragen können.
Ich könnte endlos weitererzählen. Witzige Dinge, traurige Geschichten, knifflige Fragestellungen im Umgang mit Schülerverhalten und und und. Aber das würde den Rahmen sprengen.
Mein Fazit für die Schulwoche: Es war toll! Da ich in verschiedene Bereiche der Schule hineingeschaut habe, kann ich den Lehrerberuf für mich noch nicht vollständig bewerten. In der Zeit, in der ich in der Schule war, war ich richtig froh. Das hat Spaß gemacht. Den Schülern etwas beizubringen und vor allem Lust auf das Lernen und auf das Leben zu wecken, das könnte mir schon gefallen, denke ich. Ein weiteres Praktikum soll folgen.
Vielen Dank an das Lehrerkollegium! Es war schön bei euch!
Gibt es unter euch eine leidenschaftliche Lehrerin, einen leidenschaftlichen Lehrer, der mich eine ganze Woche mitnehmen würde auch in Aufgaben, die nicht den Unterricht, sondern das Drumherum betreffen?

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