Es gibt Berufe, für die absolviert man eine Ausbildung oder ein Studium und anschließend ist man dann beispielsweise Steuerberater, Buchhändler oder Mechaniker. Es gibt aber auch Berufe, die kann man nicht erlernen. Bei denen plant man nicht „Wenn ich groß bin, werde ich mal…“. Die kommen zu einem, die ergeben sich, wenn man achtsam ist und seinen Überzeugungen folgt.
In dieser Woche begleite ich einen Berater für Selbstentwicklung und treffe damit auf einen Menschen, dessen Lebensweg ihn genau dorthin geführt hat, wo er heute steht. Martin Busch lebt mit seiner Frau auf einem Hof in der Nähe von Rottweil. Sein Zuhause ist gleichzeitig Praxis, Seminarherberge, Bauernhof, Büro und ehemaliges Kinderheim. Es ist immer jemand da, die Tür steht Gästen offen. Ich fühle mich direkt wohl in diesem riesigen Haus, mit den unzähligen Stockwerken, Zimmern und Winkeln.
Begrüßt werde ich von Martin Buschs Frau Irmtraud. Sie führt mich herum, zeigt mir das Haus, den Hof, die Tiere und stellt mich den Mitarbeitern vor. Meine erste Aufgabe ist das Striegeln eines der auf dem Hof lebenden Pferde. Von nahem fällt mir wieder auf, wie groß Pferde eigentlich sind. Ganz vergessen. Ich habe Bürokleidung dabei, aber werde mit einem Blaumann und festem Schuhwerk ausgestattet. Ich wusste zwar, dass es einen Hof gibt, aber wie eng die verschiedenen Bereiche miteinander verknüpft sind, war mir nicht bewusst.
Die Tierhaltung auf dem Hof stammt noch aus den Zeiten, in denen Martin und Irmtraud benachteiligten Kindern ein Zuhause anboten. 36 Kinder wuchsen über die Jahre auf dem Buschschen Hof auf. Aus den Erzählungen höre ich heraus, dass es ihnen schon immer ein Anliegen war, gerade benachteiligten, vielleicht sogar von den Ämtern schon abgeschriebenen Kindern dabei zu helfen, Potenziale zu entfalten, das Bewusstsein für sich selbst zu stärken, um den eigenen Weg gehen zu können. „Jedes Kind ist bei der Geburt gut so wie es ist. Es ist nur die Frage, inwieweit sein Umfeld eine positive Entwicklung zulässt“, erklärt mir Martin beim Mittagessen.
Zu den Mahlzeiten sitzen die Familie, die Angestellten und Gäste an einem großen Tisch. Es fühlt sich nach Familie an, nicht nach Kantine. Ich erfahre weiter, wie Martin über ein Sport- und Politik-Studium zum Studium der Psychologie kam und heute als Diplom-Psychologe arbeitet. Kern seiner Arbeit zur Selbstentwicklung ist die Verbindung von Körper und Geist. Er unterscheidet zwischen dem Körper-Selbst und dem sozialen Selbst, die aber über das Bewusstsein miteinander verbunden sind. Über die Methoden von Moshé Feldenkrais (Verbesserung von menschlichen Funktionen durch bewusste Wahrnehmung von Bewegungsabläufen) und Milton Erickson (Hypnose und Hypnotherapie) hat er eine eigene Art der Arbeit mit Menschen entwickelt, bei der er ihnen als Lotse, hilft die eigene Gesundheit ganzheitlich zu fördern.
Zweimal habe ich diese Woche Gelegenheit seine Denk- und Arbeitsweise am eigenen Leib zu testen. Im Gruppenraum auf einer Matte liegend folge ich den Empfehlungen meinen Körper bei verschiedenen Bewegungen zu spüren. Ich bewege den Kopf von links nach rechts und umgekehrt. Die Schultern kommen hinzu. Die eine Schulter hebt sich, wenn sich der Kopf nach links bewegt und die andere, wenn der Kopf nach rechts geht. Welche Seite beginnt, entscheidet das Nervensystem spontan. Wie wäre es andersherum? Die Idee dabei ist es, dem Körper erlebbar zu machen, wie Bewegungen noch ausgeführt werden können, um sich für die jeweils angenehmste Weise entscheiden zu können. Emotionen werden laut einigen Forschungsergebnissen nämlich nicht im Gedächtnis, sondern im Körper gespeichert. Dadurch werden Bewegungsmuster abgespeichert, die nicht die besten für den Körper sein müssen und zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen können. Ein bisschen benebelt stehe ich nach dem zweistündigen Kurs wieder auf, meine anfänglichen Rückenschmerzen sind verschwunden. Verrückt! Und doch irgendwie logisch.
Aber was hat das mit Selbstentwicklung zu tun? Ich frage nach, denn so ganz habe ich das alles noch nicht verstanden. Da man mehrere Bewegungen gleichzeitig ausführt und auf sie achtet, verlässt man den Wahrnehmungsbereich, der der bewussten Kontrolle unterliegt und gelangt tiefer in den Raum zwischen „Bewusst“ und „Unbewusst“, in einen Trance-ähnlichen Zustand. Mit der Zeit kann man so vom körperlichen zum emotionalen und sozialen Bereich im Unterbewussten gelangen und setzt sich mit Dingen auseinander, mit denen man sich sonst vielleicht nicht beschäftigen würde oder die man verdrängt hat. Das leuchtet mir ein, auch wenn ich es in den zwei Sitzungen nicht wahrgenommen habe.
Neben diesen Erfahrungen darf ich bei einer Supervision mit einigen Therapeuten dabei sein sowie bei der Arbeit mit einer Frau, die sich den Fuß verletzt hatte, bekomme einen kleinen Einblick in das Büro und die Stiftung und versorge die Tiere.
Wenn mich meine Couchsurfer abends fragen, wie mein Tag war, dann ist meine Antwort: „Ich weiß auch nicht. Irgendwie gut, aber schwer greifbar. Ich habe den Kuhstall ausgemistet, mich mit Menschen unterhalten, habe versucht zu begreifen, wie das Konzept zur Selbstentwicklung funktioniert, habe in der Küche geholfen und war kurzzeitig im Trance-Zustand – das ist kein gewöhnlicher Tagesablauf für mich!“
Die Frage, ob der Beruf etwas für mich ist, stellt sich mir nicht wirklich. Ich bin noch nicht so weit und ob ich es jemals sein werde – ich weiß es nicht. Ich bin in eine neue, spannende Welt eingetaucht, die ich nun wieder verlasse und über die ich sicher noch lange nachdenken werde. Bei der Verabschiedung sagt eine Kollegin zu mir: „Tschüss! – Na, wer weiß!“. Und ich glaube, das trifft es gut. Denn ich habe den Eindruck, dass die Menschen, die dieses Haus einmal betreten haben, alle wiederkommen. Und wer weiß….
Vielen Dank an Martin und Irm! An Cornelia, die liebe Anne und Daniel, Barbara, Monika und Karin. Danke an Heike für die Vermittlung und an meine Couchsurfer Lothar und Birgit!
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